die Poesie muss über die Politik siegen

Veröffentlicht am 12. Jul 2007 / Anarchotyp, Liedermacher, Schriftsteller, Theatermann

Liedermacherinnen und Liedermacher
in Deutschland

von Gerhard Löhr / Juli 2007

In einem Kieler Café treffen wir uns zu morgendlicher Stunde. Ab dem Mittag möchte Heinz für seine Kinder Zeit haben. Nachdem wir uns mit Getränken versorgt haben, im Hintergrund läuft leise Musik, kommen wir recht schnell zur Sache. Intensive anderthalb Stunden dauert das Interview. Heinz’ Antworten kommen langsam und wohlüberlegt. Man merkt, dass er sich viele meiner Fragen schon selbst einmal gestellt hat. Seine Antworten unterstreicht er kaum durch Gestik oder Mimik. Im Gespräch ist er ganz deutlich der Kopfarbeiter. Seine Antworten macht das aber nicht weniger spannend.

… es ist meine große Lust am eigenen Dasein
Heinz Ratz

Hallo Heinz Ratz, wie darf ich Dich unserem Publikum vorstellen?
Als ich mir Gedanken gemacht habe, wie ich eine mögliche Biografie nennen könnte, kam ich auf den Begriff des Straßenköters auf der einen Seite. Das andere, was sich bei mir immer anbietet, ist mein Nachname Ratz, das wird in Süddeutschland oft als Ratte gebraucht, und das ist ein Tier mit dem ich mich ganz gut identifizieren kann. Also immer unterwegs, eigentlich eher ein Typ, der sehr viel mit den dunklen Ecken des Lebens in Berührung gekommen ist und sich aber trotzdem was Anarchisches und Wildes und eigentlich auch recht Fröhliches bewahrt hat.

Kannst Du mit dem Begriff »Liedermacher« irgendwas anfangen?
Ja, ich kenne die Liedermacherei ganz gut und finde sie ein interessantes Medium, das Poesie mit Musik verbindet – mit minimalem technischen Aufwand ein Maximum an Zuhörern erreichen kann.
Ich selber, finde ich, bin eine Mischung aus vielen Sachen. Also bei mir ist der Punkt genauso stark vertreten wie der Liedermacher und der Schauspieler oder der Theatermann, und es gibt natürlich bestimmte Sachen, die ich nicht bin, wie ein Schlagersänger. Ich bin auch kein Rocker. Ich bin auch kein purer Liedermacher. Aber irgendwie gehöre ich zu der Szene als Exot dazu.

Lässt sich Deine Musik beschreiben?
Ich glaube nicht. Ich habe da ganz große Schwierigkeiten. Deshalb mische ich eigentlich die absurdesten Begriffe zusammen, also »apokalyptische Volksmusik« oder »Skapunkpolkarock«. Wir mischen halt alles, das ist der ultimative Stilmix, den wir da betreiben.
Ich kenn auch eigentlich keine Band, die so (naja keine ist wahrscheinlich übertrieben aber mir fällt erstmal keine ein), die so eine Bandbreite hat und die sich so hemmungslos an allem bedient, was es so gibt.

Wenn man sich Deine Biografie anschaut, kommt sie einem atomlosen Ritt durch mehrere Welten gleich. Welche der vielen Stationen in Deinem Leben haben einen wichtigen Einfluss auf Dein künstlerisches Schaffen ausgeübt?
Als allererstes fällt mir meine Zeit in Argentinien ein, wo ich in einem Heim für Straßenkinder gelebt habe, wo ich erste starke politische Auseinandersetzungen hatte und Umbrüche erlebte, weil ich dort, beeinflusst von meinem deutschnational konservativen Vater, mit einem ganz abstrusen Weltbild hin kam und lernen musste – die Auseinandersetzung mit der Militärjunta, die viele Gewalt auf den Straßen und dann vor allem immer das Thema der Armut, des sozialen Unrechts. Das hat mich sehr geprägt und ist auch immer wieder Thema bei mir.
Dann natürlich meine Schulzeiten, wo ich die Bühne für mich entdeckt habe, in dem ich den Klassenraum zur Bühne machte und in der Art auch eine Möglichkeit fand, mich gegen die Autoritäten, also die Lehrer, auf meine Art zur Wehr zu setzen.
Die Unruhe meines Lebens, die vielen Stationen, sind natürlich auch als Summe ein wichtiger Bestandteil, weil sich bei mir alles mischt, ich nehme immer von allem das mit, was mir passt. Es ist dieses Heimatlose, das für mich entscheidend ist.

Ich habe gelesen, dass Du etwa ein Jahr lang obdachlos warst. Wie hast Du das erlebt?
Es ist etwas ungehauer Lähmendes, weil man über der Sorge, wo man übernachtet, was man isst, alles andere vergisst. Weil man durchwachte Nächte im Januar und Februar mit einem ungeheuren Energieverlust bezahlt, schaltet sich der Geist stückweise aus. Man ist nur noch mit so ganz banalen Dingen beschäftigt und hat überhaupt kein revolutionäres Potenzial mehr – auch wenn das vielleicht revolutionär-romantisch klingt, dass man sich von der Gesellschaft ausscheidet. Man entwaffnet sich auch komplett.
Und irgendwann habe ich gemerkt, dass das nun wirklich kein Weg ist, weil mir das Leben einfach zu fade würde dadurch und zu dumm. Dadurch dass ich immer Hunger habe und denke: Wo kann ich was essen? Wo kann ich schlafen? … und dann hab eich stückweise wieder den Weg in die Gesellschaft zurück gesucht und auch auf die Bühne. Es war eine Zeit großer Entbehrungen und im Grunde genommen auch einer Selbstfindung, die so nicht funktionierte, weil einfach die körperlichen Sachen im Vordergrund waren und man sich mit seiner Psyche und seiner Weltanschauung gar nicht richtig auseinandersetzen konnte.

Hast Du in der Zeit Musik gemacht?
Nee, mit der Musik habe ich überhaupt erst mit 26 angefangen. Ich habe in der Zeit Texte geschrieben und hatte vorher und hinterher Theater gespielt.

Wie hat sich Dein politisches Bewusststein entwickelt?
Es gibt ein Grunderlebnis für mich, da war ich acht Jahre alt und war in Peru und wir hatten da eine ganz schlimme Zeit, dort war Bürgerkrieg. Und meine Mutter ist recht religiös. Die ist mit uns immer in die Kirche gegangen und ich habe dann gesehen, dass im Vorraum der Kirche ein paar Jungs mit ‘ner Zitrone Fußball gespielt haben. Irgendwann saß ich dann in der Kirche und hab diese Zitrone auf’m Flur gesehen, völlig zermatscht, und dann stand von ganz hinten ein Junge auf in meinem Alter und ging vor und nahm die Zitrone behutsam an sich, guckte sie so an, ob man sie noch gebrauchen kann und steckte sie ein, als Nahrungsmittel. Ich hatte plötzlich einen Begriff von Armut, dass der Müll der einen für die anderen lebensnotwendig ist und wichtig und dass das falsch ist. Ich hatte irgendwie so was wie Schamgefühl, dass ich zu den Reichen und Etablierten gehörte und nicht zu den anderen, und ich glaube: Da ist mein politisches Bewusstsein erwacht.
Ich glaube, dass Kinder immer politisches Bewusstsein haben, weil sie so ein starkes Gespür haben für Unrecht. Die würden ja ganz anders vorgehen, die würden ja armen Leuten viel eher was geben, glaube ich … Das wird irgendwie aberzogen. Es wird dadurch einen anwachsenden Egoismus oder ein Beschränken oder eine Klassengebung (zu wem man gehört) nivelliert und bei mir ist das wieder aufgewacht und dageblieben.

Ich glaube dass Kinder ein starkes Gespür haben für Unrecht
Heinz Ratz

Der Begriff des Politischen, wie lässt sich der ein bisschen genauer beschreiben? Bei Hannah Arendt fand ich den Satz: Politik ist angewandte Liebe zum Leben. …
Ich weiß es nicht, es gibt ja auch viel Politik, die aus Hass betrieben wird, ich meine jemand wie Hitler, der hat ja auch Politik gemacht und ich glaube nicht, dass das aus Lebensliebe geschah und aus Menschenliebe. Viele machen es auch aus Eitelkeit, aus Machthunger…
Ich glaube, Politik ist im Grunde genommen das große »Wie« hinter der Frage der Organisation von Menschen und deren Zusammenführung von Interessen und deren ganzen merkwürdigen Verhaltensweisen, also wie man das abstimmt, dass das alles einigermaßen funktioniert und ein vernünftiges Ziel, nämlich das der Arterhaltung letztlich erfüllt wird. Wir kommen langsam an diese ganzen richtig wichtigen Fragen: dass wir uns mit Hilfe unserer Waffen ausrotten können … dass sind natürlich politische Fragen.
Für mich ist es auch eine Frage des Gewissens, ich sehe etwas, was mir nicht gefällt, was ich nicht richtig finde und kann eigentlich nicht damit leben, dass ich einfach daran vorbei gehe, sondern ich muss mich einmischen. Ab einem bestimmten Punkt ist das Politik für mich.

Kannst du dein politsches Engagement beschreiben?
Na eigentlich genau so. Ich finde es idiotisch und schrecklich (gerade angesichts dessen, dass ich Kinder habe), dass wir das Leben so verarmen, in dem wir es so zerstören. Es geht um Zerstörung von Kulturen, Zerstörung der Umwelt, das große Artensterben …
Ich habe mal mit einem alten Maler gesprochen, was seine Zeit und meine Zeit unterscheidet und er kam auf die erstaunliche Antwort: Es gibt fast keine Schmetterlinge mehr! Als er klein war, war die Welt voller Schmetterlinge. Und das ist natürlich eine tolle Vorstellung, dass wir hier überall Schmetterlinge hätten, dass ist ja eine Lebensqualität und eine Schönheit für’s Auge, und ich glaube, dass eine Welt voller Schmetterlinge eine andere Welt ist als eine Welt ohne Schmetterlinge. Und so gesehen finde ich es furchtbar, dass so viel Zerstörung auf der Welt ist, und ich möchte meinen kleinen Beitrag leisten, das zu ändern.
Es gibt Lebenssituationen, die ich nicht richtig finde. Wenn Menschen durch Armut zum Beispiel keine Chance haben auf bestimmte Sachen, eine Chance auf Bildung, Chance was aus sich zu machen, Chance auf Liebe (die auch kaputt gemacht wird wenn man Kinder missbraucht, wenn man Gewalt anwendet und ein Weltbild kaputt macht) – das sind alles so Dinge, und da versuche ich zumindest mit den Mitteln der Kunst, die ja nur darin liegen, das Bewusstsein ein bisschen zu erweitern oder bestimmte Gedanken wieder in die Köpfe hinein zu bringen oder die Leute am Ball zu halten, dass sie eben nicht aufgeben, also das Meinige beizutragen, dass sich neue Chancen ergeben.

für mich ist es auch eine Frage des Gewissens
ich sehe etwas was mir nicht gefällt was ich nicht richtig finde
und kann eigentlich nicht damit leben dass ich daran vorbei gehe
ich muss mich einmischen … das ist für mich Politik
Heinz Ratz

Im Grunde würde ich mich als Humanisten bezeichnen, als jemand der zumindest versucht die Menschen trotz aller ihrer komischen Seiten weiterhin zu lieben und sich selber eben auch als Mensch sieht und seine Verantwortung in diesem Gefüge.

Wenn Du Deine Kunst einsetzt um »Politik« zu machen, wie funktioniert das zusammen?
Wenn man als Musiker mit einer Gitarre auf’m Rücken durch die Straßen läuft, dann schauen einen die Menschen immer etwas freundlicher an, als wenn man ohne Gitarre läuft. Das hängt damit zusammen, dass sie der Musik einen unterhaltenden Aspekt beimessen. Sie verbinden sehr viel mit Musik, meistens irgendwelche fröhlichen Sachen – Feiern. Jeder hat ein Lied, das er, als er verliebt war, gehört hat oder als er eben traurig war, hat ihm ein anderes Lied geholfen. Also Musik ist irgendwie so etwas wie die Brücke zum Herzen.
Als Musiker kann man sie natürlich benutzen, um sich feiern zu lassen und mitzufeiern, um bestimmte Stimmungen zu erzeugen. Man kann sie aber auch als Transportmittel des Wortes benutzen. Und das ist mein Anliegen.
Ich habe alberne und witzige Texte, manche recht pubertäre Texte, die alle ihren Hintergrund haben, aber nicht so politisch sind, wie jetzt die ernsteren Lieder, die wir machen. Wenn ich aber nur diese ernsten Lieder spielen würde, dann würde nur ein sehr ausgesuchtes Publikum kommen. Und so habe ich die Möglichkeite, dass Leute, die eigentlich gar nicht nachdenken wollen, die sich damit nicht beschäftigen wollen, trotzdem kommen und dann auf dieses Lied stoßen und dann über was nachdenken.
Ich benutze die Musik als Mittel für meine politischen Aussagen und dnie als Selbstzweck. Ich bin kein Musiker, ich bin im Grunde genommen ein Literat, der sich der Musik bedient.

Wen erreichst Du damit?
Ich erreiche im Grunde erstmal nur die Leute, die sowieso etwas suchen, eine Antwort zu irgendwelchen Fragen, die Trost suchen, die den Geist und das Herz offen haben. Das ist schon mal die Grundvoraussetzung, glaube ich. Dann kann man das eigentlich nicht mehr groß einschränken. Ich habe jetzt neulich in Köln eine Lesung gehabt. Da hab ich auch ein bisschen mit dem Bass gespielt, da war das Durchschnittsalter 75, auf unseren Konzerten mischt sich das, ist aber vorwiegend ein junges Publikum zwischen 20 und 30, es sind aber auch immer wieder ältere so um die 50, 60 da …
Man weiß es nicht. Man macht irgendwas von der Bühne aus und hat nur den Applaus und der kann ja alles verbergen – der kann höflich sein, der kann unterhaltsam sein, die Leute, die applaudieren, können nix verstanden haben oder alles verstanden haben.
Es gibt manchmal Rückmeldungen, wo man halt sehr emotionale Mails bekommt. Oder als ich jetzt krank war und sich das rum gesprochen hat, da hab ich ganz viele tolle, schöne E-Mails bekommen, aber natürlich auch E-Mails voller Hass. Wenn man den Mund aufmacht, dann hat man auch immer Feinde, das ist so, aber man markt doch, dass über irgendwas nachgedacht wird.
Im Grunde möchte ich alle erreichen, die kommen, um irgendwas zu hören, ich möchte, dass die Leute irgendwie bereichert aus dem Abend geben, dass sie irgend einen Gedanken haben, den sie vorher nicht hatten, irgendein Gefühl oder irgendwas. Dass es ihnen was gebracht hat, wenn sie zu mir kommen.

Hast Du noch konkretere Beispiele, wo Du mit der Wirkung Deiner Lieder, Deiner Musik, Deines Auftretens konfrontiert wurdest?
Ich habe Mails bekommen von Leuten, die gesagt haben, dass in ganz verzweifelten Momenten ihnen ein Lied viel Kraft gegeben hat. Oder dass bestimmte Texte etwas in ihrem Leben ausgedrückt haben und eine Auseinandersetzungsmöglichkeit, das ist eine große Dankbarkeit, die einem da entgegenschlägt.
Auf der anderen Seite, wenn ich aus dem »rechten« Lager Drohungen und Todeswünsche bekomme, dass ich an meiner Krebserkankung möglichst schnell zu Grunde gehen soll, dass das gut wäre für die Menschheit, dann sehe ich, dass auch da eine Auseinandersetzung stattfindet mit meinen Sachen, dass ich da irgendwo reingepiekst habe und denen das keine Ruhe gibt, dass einer wie ich noch da ist. Und wenn ich mir deren Inhalte angucke und meine Inhalte, dann finde ich das gut, dass ich denen keine Ruhe gebe. Insofern merke ich, das verpufft nicht einfach, sondern das hat auch eine lang anhaltende Wirkung.
Es gibt auch eine Form, die ich nicht so mag, dass ist dieser Personenkult, wenn das in Bewunderung umschlägt und wenn die Menschen einen als Alibi benutzen – da tut ja einer was, das finden wir ganz toll, dann müssen wir nicht unbedingt selber was tun, dann wird man so als Galionsfigur gebraucht und es wird unglaublich viel erwartet, dass man was-weiß-ich alles bewegt, aber man ist auch eine Ausrede, dass der einzelne vielleicht nichts tun muss und das ist natürlich Quatsch, weil nur die Summe der Anstrengungen überhaupt irgendwas bewirkt.

Gib es noch anderes gesellschaftspolitisches Engagement neben Deiner Kunst?
Ich hatte irgendwann mal festgestellt, dass ich auf der Bühne großen Applaus bekomme für die Worte, die ich mache, aber im Grunde genommen viel weniger konkret bewirke als jetzt zum Beispiel ein Sozialarbeiter, eine Krankenschwester, irgendjemand, der sich tagtäglich daum kümmert dass es Menschen wirklich ein bisschen besser geht, Menschen die in Not sind. Und fand, dass ich, wenn ich die Möglichkeit habe, verpflichtet bin, konkreter was zu machen. Deswegen hatte ich mir diesen »Lauf gegen die Kälte« ausgedacht – also ich wollte von Dortmund zu Fuß nach München gehen und in jeder Stadt zu Gunsten von Obdachlosen auftreten, aber auch durch dieses Laufen zeigen, dass man selber nicht in der goldenen Kutsche sitzen muss (es ist im Grunde eine Botschaft an all’ die bekannten Kollegen, auch was zu machen), sondern dass man sich dem auch aussetzen kann und dass man das mitempfinden kann. Weil, du kannst eigentlich nur wissen, was jemand fühlt, der hungrig an der Straßenecke bettelt, wenn man selber schon mal Hunger hatte. Sonst kann man das nicht nachempfinden, was ja auch die Hartherzigkeit vieler in Reichtum geborener Leute begründet, die vielleicht gar nicht schlecht sind, die einfach das nicht erfahren haben und nicht wissen.

Ich habe so Projekte vor (also erstmal hier in Deutschland) die auf das soziale Gefälle West-Ost aufmerksam machen, auf diese für mich unmögliche Form der Wiedervereinigung, diese Vergewaltigung durch die Unternehmerstruktur hier im »Westen«, die halt ganz viel im »Osten« ausgelöscht hat und das nochmal ins Bewusstsein führen, wo Dinge nicht stimmen und was man machen kann.
Ich würde mich sehr gerne auch stärker für Umwelt engagieren gegen Tierversuche, solche Sachen. Es ist ja ein so weites Feld, wo man was machen kann – gegen bestimmte Formen der Prostitution und Menschenhandel…
Ich habe eigentlich für jedes Jahr was vor, nächstes Jahr wird dieser Lauf nachgeholt … das sind alles so konkrete Aktionen, die ich machen möchte, also wirklich auch etwas, wo ich sagen kann, ich habe in meinem Leben mehr gemacht als nur auf der Bühne stehen und mich feiern lassen für meine politischen Botschaften.

Bei dem »Lauf gegen die Kälte« geht es neben der gezeigten Solidarität auch darum Geld zu sammeln. Wie ist das bei den anderen Projekten? Ist es da ähnlich angelegt oder hast Du da was anderes vor?
Ja, ich hab anderes vor. Bei Obdachlosen und Armut ist natürlich das Geld sammeln wichtig. Man kann mit Geld immer was machen, Geld ist in unserer Gesellschaft immer ein Werkzeug zur Veränderung, das man einsetzen kann. Aber es gibt auch Dinge, die wichtiger sind, nämlich Tabuthemen so aufzeigen, dass möglichst viele darüber nachdenken, dass eine moralische Empörung geschieht für bestimmte Dinge. Ganz viel kann bei uns passieren, weil es verdeckt passiert, weil viele Leute es nicht wissen und die ganzen anständigen Leute, denen das ein Anstoss wäre, die auch gern was machen würden, einfach bewusst ausgegrenzt werden oder damit nicht konfrontiert werden, weil man diese Politik des Verschleierns hat. Da ist es oft so, das ein Aufmerksam-machen noch weit wichtiger ist, als Geld sammeln. Bei diesem »Lauf gegen die Kälte« ist es auch so.

Ich will ja auch Medienaufmerksamkeit bekommen, damit dieses Thema des Sozialabbaus angesprochen wird, so dass jeder, der nicht aufs Konzert geht, trotzdem die Gelegenheit hat, mal darüber nachzudenken: Was ist eigentlich mit den Obdachlosen? Wie gehe ich mit denen um? Gebe ich selber was? Wie geht’s eigentlich mir, lebe ich im Überfluss oder nicht?

Hast du auch künstlerisch schon Pläne für die Zukunft?
Was ich zum Beispiel gerne mal machen würde, ist eine Schlager-Platte, wo ich richtig poppige ekelhafte Musik mache, so kitschige Sachen, aber mit eben ganz anderen Texten belege oder das ich diese alten Bardengesänge aus dem Mittelalter mit dem Punkrock verbinde.
Das sind immer so Ideen, die spontan kommen. Manche vergesse ich, andere behalte ich, aus vielen wird nichts, aus manchen wird was und dann wird es vielleicht auch anders, als ich dachte.

Du hast erzählt, warum Du Musik benutzt. Kannst Du ausführen, welche Möglichkeiten die Musik hat und wie sie Deiner Meinung nach wirkt?
Wenn man das reine Wort hat und man drückt etwas nur mit dem Wort aus, mit der Sprache, kommt das ungeheuer nüchtern und eigentlich ungeheuer brutal. Man kann das gleiche in Musik verpacken und es ist ein bisschen schonender – man kämpft nicht mit Schwert und Schild, sondern mit mehr Charme. Das ist eine etwas sanftere Art.
Ich glaube, dass das letztendlich wirksamer ist und dass man nicht soviel erreicht, wenn man das brutale Wort und die brutalen Fakten nimmt, sondern dass man Menschen auch etwas zärtlicher zu den Sachen hinführen muss. Und die Zärtlichkeit kommt aus der Musik.

Menschen die das Leben nicht lieben können nicht poetisch sein
Heinz Ratz

Als Du von der Liedermacherei sprachst, war es für Dich die Verknüpfung von Musik und Poesie. Wie lässt sich Poesie beschreiben?
Poesie ist das liebevolle Erkennen, Wiedergeben der Wirklichkeit und dieses Liebevolle ist natürlich individuell, weil jeder anders liebt, jeder anders erkennt.
Das läuft durch die Seele und wird Wort, also ich habe auf der einen Seite die Wirklichkeit, dann habe ich meine Erkennungswerkzeuge meine Augen, Nase, … meine Sinne und dann habe ich meine Seele, und dieses liebevolle Durchfließen durch die Seele (denn ohne die Liebe erfasst du die Wahrheit nicht – nicht in der Gründlichkeit und manchmal auch nicht in der Schonungslosigkeit), das ist alles die Lebensliebe und das Poetisch sein.
Ich glaube, Menschen, die das Leben nicht lieben, können nicht poetisch sein, bei allem Talent das sie haben.

Wie wichtig ist Dir das in deinen Texten?
Sehr wichtig, ich bin in meinen Texten nicht so direkt (also es gibt ein paar Ausnahmen). Auch wenn ich manchmal eine harte Wirklichkeit da drin habe und das auch recht schonungslos ausspreche, zum Beispiel bei Missbrauchsthemen, bin ich nicht konkret, sondern ich verpacke es immer in Geschichten.
Also ich schreibe nicht über die Zerstörungswut einer Atombombe, sondern ich schreibe über einen Mann, der sich die Bombe auf den Kopf schnallt und dann anfängt seine Nachbarn zu terrorisieren, was irgendwie lustig ist die Vorstellung und absurd, aber auf der anderen Seite die Wahrheit beinhaltet.
Ich glaube, dadurch wirkt das auch – das sind Bilder, die einem im Kopf bleiben, hoffe ich, und die als Metapher ihren Wert haben.

Es gibt in manchen Deiner Lieder konkrete aktuelle Bezüge. In anderen bleibt alles sehr abstrakt. Wie schätzt Du deren Relevanz jeweils ein?
Mir sind die abstrakten Lieder lieber. Diese ganzen Texte, wo ich aufs Konkrete eingehe, die gefallen mir eigentlich selber nicht so richtig, die halte ich eher für meine schwächeren Texte. Es gibt einfach unendlich viele Kabarettisten, die das ständig machen. Das ist nicht meine Rolle, die machen das gut und witzig.
Ich finde man kann die Wahrheit nicht an so einer öffentlichen Person fest machen, wo man sowieso dauernd abrutscht, weil man ihren Charakter nicht wirklich kennt, sondern weil so eine Maschinerie da ist, die das alles verschleiert. Deswegen schaffe ich mir lieber meine eigenen Figuren, die dann übertragbar sind auf konkrete Menschen, das finde ich wichtiger.

Was treibt Dich an?
Sorge, Liebe und Verzweiflung treiben mich an. Auch das Gefühl mitverantwortlich zu sein für bestimmte Dinge und daher was tun zu müssen.
Es treibt mich auch der Spaß am Leben an. Mir macht das Leben Spaß, ich liebe das Leben sehr, es ist so eine Sache, die mich jeden Tag überraschen kann und auch jeden Tag überrascht. Man kann aufwachen und sagen: Mal gucken was heute ist, es ist das und das geplant, aber das und das wird wahrscheinlich nicht so verlaufen wie ich mir das vorstelle…
Ich werde gern überrascht, auch die Möglichkeit immer dazu zulernen über sich selbst, über andere, über alles … Es ist eine große Lust an meinem eigenen Dasein, dass ich das alles miterleben darf und mitmischen darf. Das macht mir ungeheuer Spaß und das ist wahrscheinlich die Haupttriebfeder und dann natürlich auch diese ganzen Nebengefühle und die anderen Gründe, was zu tun. Ich habe das Gefühl, ich habe sehr viel Energie und ich muss die auch loswerden. Das ist natürlich ein guter Antrieb.

Kannst du dir vorstellen in die Politik zu gehen?
Also ich bin in der Politik. Nur dass ich einen mir selbst gewählten und eigentlich idealen Rahmen für mich habe der mir garantiert, dass ich sehr nah bei mir selber bleibe. In dieser täglichen Politik wäre das so, dass man aufgerieben wird auch durch die Bürokratie, durch Zwänge.
Das Musikbusiness ist auch ein Haifischbecken. Aber es ist nicht so wahnsinnig trocken, ich muss mich da nicht mit irgendwelchen Geschäftsleuten rumschlagen, die im Grunde genommen viel, viel mächtiger sind als ich. Und ich werde da nicht so leicht zur Marionette gemacht, sondern ich hab immer die Rolle des Kobolds und des Hofnarren, der dadurch, dass er nicht ganz ernst genommen wird, immer auch alles sagen kann, während in der Politik, ich glaube dass da alles sehr widerlich ist.
Ich habe nicht das Gefühl nicht in der Politik zu sein, sondern ich hab das Gefühl, auf eine intelligente Art in der Politik zu sein und nicht auf eine dumme, die mich meiner Möglichkeiten beraubt, in dem ich mich zu einer Parteipuppe machen lasse oder zu einer Gewerkschaftspuppe oder zu irgend was anderem. Ich glaube, dass unheimlich viele Schweine in der Politik sind – also Leute die verlogen sind, die überhaupt nicht meinen, was sie sagen. Und das ist viel mehr als in der Kunst so und dass man gegen diese ganze Verlogenheit ganz schwer nur ankommt.

Deine Musik klingt da ja wie ein Kommentar zu diesem organisierten Politischen. Wird Deine Musik gebraucht und inwiefern?
Die Musik wird gebraucht, glaube ich, aber sie braucht nicht konkret einen von uns. Wenn es jetzt mich nicht gäbe, dann wäre die Welt dadurch nicht irgendetwas Notwendigem beraubt. Ich bin nicht notwendig für die Sache.
Es ist gut, dass es mich gibt als eine kleine Facette von vielen, denn die Schönheit einer Wiese wird ja durch die Vielseitigkeit und Vielzhahl der verschiedenen Blumenformen und Blüten ergeben und wenn die einzelne Blüte nicht da ist, ist das nicht so schlimm, aber wenn sie als Summe nicht da sind oder wenn es nur noch eine einzige Art gibt, dann verliert sie an Schönheit und so ist jeder Mensch etwas wert. Ich bin sehr dankbar, dass ich da mitmachen darf.
Ich glaube, dass der Mensch Trost braucht und dass er auch ein gewisses Maß an Kritik braucht und dass er eine Orientierung braucht und die geben wir Künstler, finde ich, auf die schöne Art, wie man sie geben kann, auf eine schönere Art als Politiker oder Philoshophen das können, weil in uns noch viel mehr Kindliches drin ist. In uns ist noch so eine Art Staunen, so was ganz Unlogisches, Verspieltes Versponnenes manchmal aus einem überzogenen Egoismus und Größenwahn Geborenes. Es hat alles was von einem Clown, von einer gewissen Buntheit und von einem kleinen aber gesunden Chaos.

Kannst du beschreiben was Glück für Dich ist?
Glück ist zum einen die Möglichkeit mich entfalten zu können und zum anderen ist Glück für mich der Genuss, mich in der Welt und im Leben zu Hause zu fühlen. Also es sind diese Augenblicke, wo ich merke: Mensch, die Stelle wo ich bin, die Art wie ich bin, das was ich gerade mache, ist gut. Es harmoniert mit dem, was ich tun kann im Leben und wie das Leben gerade ist.
Es ist ein Gefühl von Harmonie von außen und innen, von den eigenen Bedürfnissen der Seele und den Möglichkeiten, die ich habe, und dem was gerade in meiner unmittelbaren Umgebung passiert. Wenn das übereinstimmt, dann ist das Glück für mich. Zum Beispiel ich liebe jemanden und er liebt mich zurück – das ist Glück. Da passt das Außen und das Innen zusammen. Oder ich möchte etwas, was ich meine begriffen zu haben, mit jemandem teilen, und ich teile ihm das mit, und ich merke, er versteht, was ich meine – das ist auch Glück, wenn diese Harmonie da ist.
Die hat auch immer mit Entfaltung zu tun, das heißt, dass das, was in mir drin an Möglichkeit besteht, geht nach außen und stößt auf Widerhall, wird nicht zerstört, wird nicht verwundet, wird nicht zurückgedrängt, sondern hat die Möglichkeit, da zu sein. Das ist für mich Glück.

Lebst du gerne in Deutschland?
Ja, … ich würde auch gerne nicht in Deutschland leben.
Das Schöne an Deutschland ist, dass ich (obwohl ich spanisch fast genauso gut spreche) die deutsche Sprache sehr liebe. Ich finde, das ist eine sehr reiche, sehr präzise Sprache, eine Sprache, die die Möglichkeiten der Weiterentwicklung in sich hat. Und es ist ein tolles Werkzeug für mich.
Zum anderen finde ich sind die Deutschen im Vergleich zu vielen anderen Völkern ein Volk mit einem politischen Bewusstsein, wo man diskutieren kann. Es ist dieses manchmal auch sehr nervige »das ist mein Recht«-Gehabe des Deutschen, das führt dazu, dass er sich nicht so viel gefallen lässt oder dass er manche Sachen diskussionsfreudig annimmt.
Es hat natürlich auch Schattenseiten, wie dieses politische Organisiertsein durch menschenverachtende Ideologien, die gibt es eben auch bei uns sehr viel.
Es ist ein ziemlich extremes Volk, das immer radikal ausschlägt und dadurch auch spannend ist. Es gibt hier viele gute interessante Geister, die das alles lebendig halten, also es ist ein kulturell lebendiges Volk. Es ist interessant hier zu leben – gibt viel Musik, viel Theater, viel gute Bücher…
Von der Mentalität her und von dem Lebensgefühl ist es natürlich in vielen Ländern angenehmer und auch spannender, sinnlicher und oft nicht so verkrampft und distanziert. Ich bin ja Halb-Südamerikaner und hier kommt meine latein-amerikanische Seite eimmer so ein bisschen zu kurz.

es ist ein ziemliche extremes Volk das radikal ausschlägt und dadurch auch spannend ist
Heinz Ratz

Wenn Du auf der Bühne stehst vor Publikum, ist das ja mehr die Frontalunterhaltung. Wie sehr erlebst Du Interkation in Deiner Kunst und versuchst, die auch noch mehr einzubinden? Kennst du Möglichkeiten?
Das Schönste für mich ist eigentlich nach dem Konzert noch mit den Leuten zu sprechen. Da zu sein, noch was trinken zu gehen, oder eben vor Ort. Ich habe die Erfahrung, dadurch das ich unsere Shows sehr persönlich moderiere (von kleinen und großen Tragödien und Komödien meines Lebens spreche), dass viele Leute mit mir reden.
Ich nehme die Möglichkeiten wahr, auch noch nicht so berühmt zu sein und daher auch die Zeit zu haben, E-Mails zu beantworten oder Briefe zu beantworten, was natürlich alles wegfällt, wenn man tausend Stück am Tag kriegt. Das genieße ich sehr, weil ich somit den persönlichen Kontakt zum Publikum habe. Es ist auch so, dass ich gerne weggehe und mir andere Sachen anschaue und ich nehme an politischen Aktionen teil… wodurch sich auch Gespräche ergeben.

Wenn Du die etwas geringere Öffentlichkeit genießt, weil es die privaten Kontakte möglich macht, ist das nicht gegenläufig zur großen Öffentlichkeit, die Du brauchst, um deine politischen Aussagen zu platzieren?
Ich weiß gar nicht, ob man soviel mehr erreicht mit einer großen Öffentlichkeit. Das hält sich alles die Waage. Wenn man eine große Öffentlichkeit hat oder für etwas steht, wird man natürlich auch in eine Schublade rein gesteckt – es kommen sehr viele Leute, die eigentlich nicht deswegen kommen, weil sie politisch interessiert sind, sondern weil man da halt hingeht.
Wenn jetzt eine Partei oder gesellschaftliche Gruppe plötzlich findet »Strom & Wasser« und Heinz Ratz, der repräsentiert unsere Ideen und man ist ein Aushängeschild, dann geben da Leute hin, die sich eigentlich überhaupt nicht dafür interessieren, die gar nicht die Sinnlichkeit haben, ein Konzert zu erleben und dann da stehen und applaudieren, denen das aber nichts gibt, die lieber ihre anderen Bücher lesen sollten.
Ich weiß nicht ob man dadurch dann unbedingt so sehr viel mehr erreicht. Man wird ja auch durchorganisiert. Man verliert dieses Persönliche. Die Hallen werden groß, man sieht die Leute nicht mehr, für die man spielt. Keiner traut sich mehr, irgendwas dazwischen zu rufen. Dann gibt es ein Management, das einen abriegelt. Dann ist man in irgendwelchen Talk-Shows. Und vor allem ist das Gefährliche, dass man plötzlich meint wichtig zu sein und wirklich was tun zu können und sich, glaub ich, in die Gefahr begibt, sich selbst komplett zu überschätzen mit den Möglichkeiten, die man hat.
Während, wenn man immer wieder Misserfolge hat, bleibt man nah dran und weiß: OK immer mit der Ruhe; die Welt verändert sich nur langsam und es ist ein sehr sehr schwieriges Unterfangen, irgendwas zu tun. Und das erlebt man immer wieder und meint auch nicht besser zu sein als irgend ein Sozialarbeiter der seine Arbeit tut.
Wenn Dir jeder den Hahn kämmt, ist die Gefahr groß, dass man sich einbildet: Ich bin wirklich jemand, beweg’ was. Also es ist ein gefahrvoller Weg, der nach oben geht.

Glaubst Du an des Gute im Menschen?
Ich glaube an das Gute und das Böse. Lessing hat auch mal versucht, den Faust zu schreiben. Bei ihm war das so, das Faust den schnellsten Geist sucht und da kommt erst einer der sagt, er ist so schnell wie der Blitz, und das ist ihm alles noch zu langsam. Und dann kommt einer und sagt ich bin so schnell wie der Übergang des Guten zum Bösen… Das hat mich immer sehr beeindruckt dieser Spruch, weil im Grunde genommen jeder von uns sowohl den Engel als auch die Bestie in sich trägt.

Entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Wen wir fördern und wen nicht und wie aufmerksam wir das eine und das andere beobachten. Ich glaube auch, dass die Summe unserer Entscheidungen im Leben, die Feigheiten, die wir haben, die schlechten Dinge oder die Fehler, die wir machen und wie wir damit umgehen entscheidend dafür ist, welche Seite in uns wächst. Es ist eine ganz komische Sache: Die meisten sagen, es ist so platt vom Guten und Bösen zu sprechen. Ich weiß das gar nicht genau. Ich habe neulich ein Buch gelesen von einem Arzt, Psychoanalytiker, der das KZ überlebt hat, einem jüdischen Arzt. Und der hat geschrieben, es gibt im Grunde genommen nur zwei Völker auf der Welt. Das sind die Anständigen und die Rücksichtslosen. Und es gibt einen ewigen Krieg zwischen den beiden. Irgendwie denke ich, ist das tatsächlich so und dieser Konflikt findet auch in jedem von uns statt. Es geht auch ums Glück, ich glaube, dass der glückliche Mensch nicht wirklich ein Schwein ist. Ich glaube, dass die ganz schlimmen Sachen aus den Instinkten des Unglücks heraus geschehen. Die Bösartigkeiten, Grausamkeiten, Gewalt, Kriege, Machtgier – das sind alles Dinge von unglücklichen Menschen, die ihr Unglück überdecken wollen.
Es gibt natürlich auch geborene Psychopaten, sowohl im Guten als auch im Schlechten. Ich glaube an das Gute nicht als das Reine im Menschen. Ich glaube, es ist eine der Möglichkeiten, die in uns stecken. Es steckt aber genauso gut die andere Möglichkeite in uns.
Es steckt auch die Möglichkeit in uns, alles auf eine schöne Art doch zu überleben udn hin zukriegen und verantwortlich mit diesem Planeten umzugehen und es steckt aber auch die Möglichkeit des Untergangs in uns – und das wird bis zum letzten Atemzug des letzten Menschen so sein.

Hast Du in Dienem Schaffen Vorbilder?
Nee, habe ich eigentlich nicht. Es gibt Leute, die ich gut finde aber deren Einfluss für mich selber nicht sichtbar ist, weil ich meinen eigenen Weg gehe, sowohl in der Literatur, als auch in der Musik.
In der Literatur, die für mich wichtiger ist, liegen die zum Teil im Expressionismus, Nietzsche und seine Art der Sprache vor allem …
Und musikalisch bin ich eher ein Halodrie, der hier und dort hüpft, der ebenso amerikanische Punk-Bands gut findet als auch Georg Kreisler gut findet, da bin ich nicht so konkret.

wir wissen was gut ist und was nicht richtig ist…
wenn jeder mehr darauf hört wäre sicherlich alles wesentlich besser
Heinz Ratz

Wie blickst Du auf die Geschichte im Allgemeinen?
Ich glaube, die Menschen waren sich immer sehr ähnlich und alles, was war, kann sich wiederholen – diese schrecklichen und schönen Sachen. Außerdem war es nie so wie wir denken, weil jeder anders empfindet, was ist. Ich glaube, ab dem Zeitpunkt wo Leute Briefe geschrieben haben, wo Zeitzeugen existieren, da hast du die Möglichkeit, dir ein Bild zu machen aber wenn du überlegst: Wie war das eigentlich bei den alten Griechen, dann weiß man das nicht. Das ist genau wie die Bibel: Was stimmt davon, was nicht? Das ist so unendlich interpretierbar…
Ich guck mir die Leute so an und denke mir, dass sich sehr viel wiederholt. Die 16jährigen von heute sind wie ich mit 16 war und wie wahrscheinlich alle 16jährigen immer waren und deswegen denke ich immer, die Geschichte spielte eine Rolle für mich, um zu wissen, was möglich ist an Schrecklichkeiten und an Heldentaten als Orientierung. Aber im Grunde genommen interessiert mich das wenig. Mich interessiert hauptsächlich die Gegenwart und die Zukunft, also die Vergangenheit nur als Erinnerung: die Nazizeit zeigt, in was für Abgründe die Menschheit stürzen kann, wenn sie nicht aufpasst.
Und die Geschichte mancher Leute, die Unglaubliches geleistet haben und sich aufgeopfert haben und was gemacht haben, da würde ich sagen: Auch das kann der Mensch schaffen.

Wie ist dann grundsätzliche Veränderung möglich?
Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Wenn große Katastrophen kommen. Wenn also die Stützen weg fallen. Wir sind ja geprägt von einem gewissen Wohlstand, von einer gewissen Zufriedenheit, die hier herrscht, von einem Kapitalismus, der seine Schrecken woanders verbreitet und nicht sichtbar ist und uns eher mit Segen überschwemmt.
Wenn an diesen Stützen dann plötzlich Dinge sichtbar werden, die unsichtbar gehalten wurden, wenn sich da irgendwas ändert, wenn Not kommt, vielleicht sogar Hungersnöte oder irgendwelche Krankheiten, dann ist im Grunde genommen jede Veränderung möglich. Wenn der Rahmen nicht mehr stimmt, dann ist alles möglich. Dann organisiert sich das neu.

In was für einer Welt möchtest Du leben?
Ach, ich bin eigentlich glücklich hier zu leben. Ich für mich bin glücklich hier zu leben, aber ich glaube, dass für viele eine andere Welt vielleicht besser wäre: Eine Welt, in der Kinder mehr Achtung genießen, in der Tiere mehr Achtung genießen, in der man sich mehr um andere Dinge kümmert, in der weniger Gewalt herrscht, in einer glücklicheren Welt.
Es ist ja absurd, dass jeder sich nach Glück sehnt, aber als Gesamtheit wir nicht in der Lage sind, Glück herzustellen für alle, nicht mal für uns selber, obwohl wir alle das gleiche Bestreben haben. Das ist einer der großen Widersprüche und ich glaube, dass das Problem ist, dass etwas noch größer ist als unser Glücksbedürfnis: das ist unsere Gier. Wir wollen, wenn wir das eine Glück haben sofort noch das andere dazu und das dritte und mehr als der andere. Da kommt dann der Neid dazu.
Es ist überhaupt nicht schwierig sich eine viel schönere Welt zu erfinden. Aber ich für mich habe hier meine Rolle gefunden und möchte versuchen, die zu erfüllen. Deswegen bin ich ganz glücklich. Nicht wie die Welt ist, aber dass ich ihn ihr lebe und dass ich meine Rolle gefunden ahbe. Ich möchte es eigentlich nicht ändern, kann ich auch gar nicht.

Du hast auch eine Utopie beschrieben, hast Du eine Idee wie wir da hinkommen könnten?
Im Grunde wissen wir, wie wir da hin kommen können. Wir müssen erstens mal stärker auf die innere Stimme hören, die jeder hat. Wir müssten das Gleiche, was wir fordern, wie man uns begegnen soll und wie man mit uns umgehen soll, auch anderen zugestehen. Man muss in dem Moment, wo man feige ist und wegguckt, hingucken. Das sind all diese Momente, wo wir uns nicht wohl fühlen, wo wir uns nicht richtig im Spiegel angucken können, weil wir das und das so und so gemacht haben. Das ist diese innere Stimme, es ist in uns drin. Wir wissen eigentlich, was nicht richtig ist und was gut ist und was die Grenzen des Anstands überschreitet und wo wir rücksichtslos sind. Das weiß jeder und wenn jeder ein bisschen mehr darauf hört, wäre sicherlich alles wesentlich besser.
Der Vater, der sein Kind missbraucht, weiß, dass es nicht richtig ist, das zu tun. Der Mann, der seine Frau schlägt, weiß, dass er das nicht tun sollte. Der General, der seine Soldaten in den sicheren Tod schickt, weiß, dass das nicht gut ist, dass er das macht. Der Unternehmer, der ein Unternehmen in Ostdeutschland kauft, um es zu ruinieren, weiß, dass das nicht anständig ist. Wir wissen das alle. Wir tun es nur nicht und das ist das Problem.
So können wir da hin. Es ist im Grunde ganz einfach. Man könnte auch sagen, wir vernichten jetzt alle Bomben. Wir sind in der Lage alle Menschen auf der Welt zu ernähren und wir machen das jetzt einfach mal. Lasst uns das machen. Es ist überhaupt nicht schwierig, also möglich ist das. Nur macht es keiner, weil keiner daran glaubt, dass der andere das macht und keiner glaubt daran, weil jeder sich selber eigentlich auch schweinisch benimmt und deswegen denkt, der andere tut das auch so.
Aber es ist nicht undenkbar.

Was sind die aktuellen Probleme dieser Welt, dieser Zeit hier vor Ort?
Also ganz zuerst, glaube ich, ist es die Zerstörung der Natur, der Lebensgrundlagen – der Umgang damit, die Achtung vor Tieren und Pflanzen, vor dem was die Erde uns gibt, den Ressourcen, der Energie… Das ist das Allernotwendigste, weil das überhaupt die Grundlage des Lebens ist, das sind unsere Wurzeln und werden sie immer bleiben. Wenn wir die vernichten, kann oben nichts mehr wachsen und es wird alles zugrunde gehen.
Das zweite ist der Hunger, das ist das Unrecht auf der Welt, dass die einen in Überfluss leben und die anderen ihre Kinder nicht ernähren können.
Das dritte sind die Waffenarsenale, die gebaut werden. Es ist idiotisch, etwas zu besitzen, dass die Erde vernichten kann und die ganzen Menschen. Das ist außerordentlich dumm.

Wir sollten auf bestimmte Sachen einfach verzichten, auf bestimmte Entwicklungen, wo man merkt, das geht in eine Richtung, die wir nicht mehr kontrollieren können. Einfach eine Bescheidenheit, die man haben könnte, eine etwas größere Genügsamkeit, auch im Großen, im Gesellschaftlichen.